„Schwierige Kandidatin“
Am 08.08.2024 fand vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt/M. der Prozess „Dr. Christidis ./. Land Hessen“ statt. Gegenstand war die Klage von Andrea Christidis gegen die Staatsanwaltschaft Gießen (vertreten durch das Land Hessen) wegen einer endlosen Reihe von Anklagen, meist unter der Überschrift „Titelmissbrauch“: Ob sie je / was / wo studiert hätte, ob die Angaben auf ihrem Briefpapier die erworbenen Abschlüsse korrekt wiedergaben etc. Jedes Mal, wenn die Psychologin mit einem wissenschaftlichen Gutachten nachwies, dass jemand nicht „verrückt“ (schizophren, paranoid, borderline o.ä.) war und deswegen einen Anspruch auf Rückgabe seiner Freiheit, seiner Geschäftsfähigkeit, seines Vermögens, seiner Kinder usw. hatte, ging eine Strafanzeige der widerlegten Amtspersonen bei der Staatsanwaltschaft ein (welche oft in den Entzug der Rechte involviert war).
Natürlich zerrten die Gießener Staatsanwälte Andrea Christidis auch ohne Strafanzeige vors Gericht, und ein Großteil der gut vorbereiteten Richterschaft entsprach nach Vermögen dem Begehr der Anklage. So sorgten ab 2010 zunächst StA Maruhn mit Amtsrichter Wendel und dann StA Stein mit Landrichter Nink für Verurteilung über zwei Instanzen „wegen psychischer Beihilfe“ zur Kindesentziehung. Der Freispruch erfolgte erst in der dritten Instanz: Für das OLG Frankfurt stellte die Generalstaatsanwaltschaft 2012 fest, dass zur „erkannten“ Schuld von Christidis keine passende Kindesentführung zur fraglichen Zeit stattgefunden hatte. Bis dahin war Dr. Christidis eine mutmaßliche Kriminelle.
Von den insg. über 80 gesammelten Anzeigen sind noch keine 20% „abgearbeitet“, gegen den letzten Freispruch vor dem LG Gießen am 10.11.2023 (sinngemäß: wegen substanzloser Anklage) hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt; die Verhandlung darüber steht noch aus.
Zur Eröffnung des Verfahrens am 08.08.2024 wurde zunächst von der berichterstattenden Richterin eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte der Klage gegen die Staatsanwaltschaft verlesen. Die Kompaktheit ihrer schriftlichen Formulierung bei einer bewundernswert schnellen Artikulation erinnerte manche an die Verlesung der „Risiken und Nebenwirkungen“ in der Fernsehwerbung. Dennoch beanspruchte die bloße Aufzählung der beklagten staatsanwaltlichen Willkürakte gegen Andrea Christidis ca. eine Viertelstunde.
Den Einstieg in die Verhandlung löste die Bemerkung der Vorsitzenden Richterin Dr. Moradi-Karkaj, hier sei einiges „unglücklich“ und „unsauber“ verlaufen. Klagevertreter RA Manfred Müller monierte nicht nur die verharmlosende Ausdrucksweise, sondern auch das Erscheinen von Frau Fink von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, auf der Beklagten-Bank, in Robe: die Beklagtenvertreterin in der Montur einer Anklägerin.
Während Müller die ausgebliebene Kommentierung der Klagepunkte nachlieferte, blieb die Kammer ebenso wortkarg wie die Beklagte. Schließlich kündigte die Vorsitzende eine Entscheidung am Nachmittag desselben Tages an.
Prozessbeobachter, die beim Einzug der fünf Richterinnen in das Gerichtsgebäude anwesend waren, äußerten später, bei Gesprächen auf den Gerichtsfluren, eine der Richterinnen habe ihre Kolleginnen zur Vorsicht ermahnt, heute werde eine „schwierige Kandidatin“ erwartet.
Auf telefonische Anfrage hieß es dann, die Klage von Christidis sei abgewiesen worden. Doch das eigentlich Interessante bei diesem Prozess kommt noch: die schriftliche Urteilsbegründung und das Kunststück, eine Klage wegen der Verfolgung Unschuldiger abzuweisen, noch während die Entscheidung in zweiter Instanz über eine bestandslose Anklage ansteht.